Hyperalgesie beschreibt eine übersteigerte Schmerzempfindlichkeit, bei der selbst leichte Reize als übermäßig schmerzhaft wahrgenommen werden. Dieser Zustand kann durch Verletzungen, Entzündungen oder Veränderungen im Nervensystem entstehen. In einigen Fällen kann auch die langfristige Einnahme von Schmerzmitteln, insbesondere Opioiden, paradoxerweise zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führen.
Ursachen und Mechanismen der Hyperalgesie
Normalerweise reagiert das Nervensystem auf schädliche Reize mit einer Schmerzempfindung als Warnsignal. Bei einer Hyperalgesie ist dieses Schmerzempfinden jedoch verstärkt, weil das Nervensystem überempfindlich auf Reize reagiert. Diese gesteigerte Schmerzantwort kann durch Entzündungsreaktionen, Nervenschädigungen oder zentrale Sensibilisierungsprozesse im Gehirn und Rückenmark verursacht werden.
Hyperalgesie tritt häufig in Verbindung mit chronischen Schmerzen, neuropathischen Schmerzen oder nach Operationen auf. Je nach zugrunde liegendem Mechanismus wird zwischen primärer, sekundärer und opioidinduzierter Hyperalgesie unterschieden.
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Primäre Hyperalgesie
Bei der primären Hyperalgesie ist die Schmerzempfindlichkeit direkt an der Verletzungsstelle erhöht. Ursache ist eine entzündungsbedingte Sensibilisierung der Schmerzrezeptoren in der Haut oder im Gewebe. Wenn etwa eine Hautverletzung vorliegt, wird das betroffene Areal durch Botenstoffe wie Prostaglandine empfindlicher gemacht, sodass bereits leichte Berührungen oder Temperaturveränderungen als schmerzhaft empfunden werden.
Dieser Mechanismus dient dem Schutz des verletzten Gewebes und sorgt dafür, dass das betroffene Gebiet nicht weiter geschädigt wird. Typische Beispiele für primäre Hyperalgesie sind Sonnenbrände, Entzündungen oder Wundheilungsprozesse nach Verletzungen.
Sekundäre Hyperalgesie
Die sekundäre Hyperalgesie tritt nicht direkt an der Verletzungsstelle auf, sondern in angrenzenden oder sogar entfernten Gewebebereichen. Hierbei spielt die zentrale Sensibilisierung eine entscheidende Rolle: Durch anhaltende Schmerzsignale kommt es im Rückenmark oder Gehirn zu einer verstärkten Verarbeitung von Reizen, sodass auch benachbarte Regionen überempfindlich werden.
Dieses Phänomen ist häufig bei neuropathischen Schmerzen, Fibromyalgie oder chronischen Schmerzsyndromen zu beobachten. Selbst harmlose Reize wie leichter Druck oder Berührung können als übermäßig schmerzhaft empfunden werden. Die sekundäre Hyperalgesie trägt maßgeblich zur Chronifizierung von Schmerzen bei, da sie das Nervensystem „trainiert“, stärker auf Schmerzreize zu reagieren.
Opioidinduzierte Hyperalgesie
Paradoxerweise können auch Schmerzmittel selbst eine Hyperalgesie auslösen, insbesondere Opioide wie Morphin oder Fentanyl. Bei langfristiger Einnahme kann es dazu kommen, dass das Nervensystem überempfindlich auf Schmerzsignale reagiert – selbst dann, wenn keine eigentliche Gewebeschädigung vorliegt. Dieses Phänomen wird als opioidinduzierte Hyperalgesie (OIH) bezeichnet.
Patienten, die unter OIH leiden, bemerken oft, dass sich die Schmerzen trotz steigender Opioiddosis nicht bessern, sondern sogar verstärken. Ursache dafür ist eine Überaktivierung von Schmerzrezeptoren und Veränderungen im zentralen Nervensystem, die zu einer paradoxen Schmerzverstärkung führen. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, die Opioiddosis schrittweise zu reduzieren oder alternative Therapien in Betracht zu ziehen.
Diagnose und Untersuchungen
Die Diagnose einer Hyperalgesie erfolgt durch eine sorgfältige Schmerz- und neurologische Untersuchung. Ärzte testen dabei, wie der Patient auf verschiedene Schmerzreize reagiert, etwa auf Berührungen, Temperaturveränderungen oder Druck. Ergänzend können bildgebende Verfahren wie MRT oder Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen eingesetzt werden, um zugrunde liegende Nervenschäden zu erkennen.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung richtet sich nach der Ursache der Hyperalgesie. Bei primärer Hyperalgesie kann die Behandlung der zugrunde liegenden Entzündung oder Verletzung helfen, die Schmerzempfindlichkeit zu reduzieren. Nicht-opioide Schmerzmittel, entzündungshemmende Medikamente und physikalische Therapien können unterstützend wirken.
Bei sekundärer Hyperalgesie ist es wichtig, die zentrale Sensibilisierung des Nervensystems zu unterbrechen. Dies kann durch Physiotherapie, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken und spezielle Medikamente wie Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin) oder trizyklische Antidepressiva erreicht werden.
Bei einer opioidinduzierten Hyperalgesie ist eine schrittweise Reduktion der Opioiddosis oft die wirksamste Maßnahme. In manchen Fällen kann eine Umstellung auf alternative Schmerztherapien, etwa Ketamin-Infusionen oder multimodale Schmerztherapien, helfen.
Fazit
Hyperalgesie ist eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, die durch Verletzungen, Nervenschädigungen oder Schmerzmittel verursacht werden kann. Während primäre Hyperalgesie direkt am Ort der Gewebeschädigung auftritt, betrifft sekundäre Hyperalgesie oft benachbarte oder entfernte Körperbereiche. Besonders problematisch ist die opioidinduzierte Hyperalgesie, die durch langfristigen Schmerzmittelgebrauch ausgelöst wird. Eine gezielte Diagnose und individuell abgestimmte Therapie sind entscheidend, um die Schmerzempfindlichkeit zu reduzieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Autor:
PD Dr. med. Witold Polanski
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Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann nicht das persönliche Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ersetzen. Für eine individuelle Diagnose, Therapieempfehlung und Behandlung konsultieren Sie bitte immer medizinisches Fachpersonal.